„Alles ist vorbereitet. Die Mohnschnecken gebacken, die Wohnung geputzt, Mittagspause für die Kids und ein paar Fragen habe ich auch parat. Die Mitarbeiterinnen vom Jugendamt kommen für ihren Hausbesuch. Das ist der letzte und entscheidene Teil auf unserem Weg zur Bereitschaftspflege. Heute wird entschieden ob wir diese Verantwortung und neue Aufgabe bekommen … und mir ist schlecht vor Aufregung.“
So hatte ich meinen Blogpost vor einigen Monaten schonmal angefangen und bis heute ist einiges passiert. Wir haben zur Zeit unser erstes Pflegekind bei uns und das möchte ich gerne zum Anlass nehmen auf alle Fragen einzugehen die uns erreichen. Ich finde es schön, dass einige auch mit dem Gedanken spielen sich als Bereitschaftspflegefamilie zu engagieren. Das Thema ist meiner Meinung nach aber auch gesellschaftlich interessant.
Die Kinder- und Jugendhilfe für Baden-Württemberg hatte für 2018 eine Statistik veröffentlicht nach der fast 5000 Inobhutnahmen in einem Jahr stattfanden. Inobhutnahme heißt das ein Kind aus einer Notsituation aus der Familie rausgenommen wurde. Gründe dafür waren vor allem Überforderung der Eltern, bzw. eines Elternteils, Anzeichen von Misshandlung, Vernachlässigung oder Beziehungsprobleme. Eine Inobhutnahme kann aber beispielsweise auch Vorkommen wenn die Eltern in Haft kommen oder schwer krank werden und Niemand aus der Verwandtschaft einspringen kann.
Es ist gar nicht so leicht alles in einen Blogpost zu packen was mich und uns zu dem Thema bewegt. Alleine zu den Reaktionen die wir dazu bekommen haben Bereitschaftspflegeeltern zu werden (über das „Das könnte ich nicht.“ oder „Das kann ich mir bei euch gut vorstellen.“ drüber hinaus) könnte ich gefühlt Bücher schreiben. 🙂 Anfangen möchte ich aber mit der am häufigsten gestellten Frage: Wie kamt ihr denn auf die Idee Bereitschaftspflegefamilie zu werden?
Warum gerade Bereitschaftspflege?
Das sind eigentlich zwei Hauptpunkte die mich darauf gebracht haben und einer davon geht in meine Kindheit zurück. Meine Mutter hat eine Zeit lang in einem Verein gearbeitet der auch eine Babyklappe hatte. Da dürfen Babys anonym abgegeben werden (tatsächlich über eine Klappe in ein Bettchen gelegt) und dann wird bei einem Mitarbeiter Alarm ausgelöst und das Baby wird sofort versorgt und aufgenommen. Acht Wochen lang hat die Mutter, bzw. die Eltern die Möglichkeit sich nochmal zu melden, wenn sie das Baby doch behalten möchten. Ansonsten wird es zur Adoption freigegegeben. Da schmolz schon immer mein Herz und diese acht Wochen hätte ich mich gerne um die Babys gekümmert. Zu dieser Zeit war ich aber selbst noch ein Kind, aber der Gedanke ließ mich nie ganz los. Vor einigen Monaten habe ich dann auf Instagram Folgendes gepostet:
https://www.instagram.com/p/BzOW0Cdn0I8/ (Eine Einbettung des Beitrags ist derzeit leider nicht möglich.)
In den Kommentaren schrieb Jemand dass ich ja Bereitschaftspflege machen könnte und mich auf Babys beschränken. Aus einer eher saloppen Ansage meinerseits unter einem alten Babybild reifte darauf nach vielen Gesprächen die Entscheidung das wir es als Ehepaar angehen wollten.
So kamen wir zumindest auf die Idee. Warum wir das machen, ist nochmal eine andere Geschichte.
Warum wir das machen
Unsere Vision als Paar ist „Eine Welt ohne Egoismus. – Bullerbü für alle.“ Dazu gehört für uns zum Beispiel Gastfreundschaft, das wir andere Menschen wahrnehmen und unterstützen möchten. Es soll nicht immer nur um uns und unsere Kinder gehen, sondern wir wollen einen Blick über diesen Familientellerrand haben. Das haben wir schon vor der Bereitschaftspflege in verschiedenen Formen gelebt und für sehr wertvoll empfunden, auch für unsere Kinder.
Ich wollte nach meiner Elternzeit gerne weiter daheim bleiben mit den Kindern. Diese geschenkte Zeit nutze ich für meine Familie, aber auch Ehrenämter und dachte die kann ich für Pflegekinder mit einsetzen. In der Bereitschaftspflege ist man immer abrufbar für Kinder in Notsituationen und daher ist es am sinnvollsten wenn man nicht beruflich gebunden ist. Unseren eigenen drei Kindern trauen wir diese Herausforderungen zu, die eine solche Aufgabe mit sich bringt.
Es wäre sicher leichter, wenn wir immer nur unter uns sind. Aber ich merke jetzt schon mit dem ersten Pflegekind, was es auch für unsere Kinder für eine Bereicherung ist. Sie haben so viel Freude an der kleinen Maus und alle Drei nehmen sich immer wieder Zeit um mit ihr zu spielen. Wenn sie mithelfen wollen beziehen wir sie gerne mit ein, aber es ist ihnen auch klar, das wir als Eltern die Verantwortung tragen und nicht sie. Das ist uns wichtig. Bis jetzt machen sie das ganz wunderbar und wir werden weiter sensibel dafür sein, wie sich diese Aufgabe sich auf sie auswirkt. Wir nehmen nur Babys auf damit unsere Kinder sich auch bewusst zurückziehen und einfach die Kinderzimmertür zumachen können, wenn sie ihre Ruhe haben möchten.
Wie wird man Bereitschaftspflegeeltern?
Hierzu sei gesagt, dass es je nach Stadt und Bezirk Unterschiede geben kann was die Voraussetzungen sind. Ich erzähle hier von unseren Rahmenbedingungen. Am besten erkundigt man sich beim örtlichen Jugendamt nach den Bestimmungen die jeweils geltend sind.
Unser Jugendamt informierte mich auf meine Anfrage hin über den Vorbereitungskurs der schon bald stattfinden sollte und den Aufbaukurs. Bei diesen Terminen wurde uns alles rund um das Thema Pflegefamilie erklärt und in Teamarbeit zusammen erarbeitet mit den anderen Teilnehmern.
Kurz zur Erklärung die Unterschiede, aus meiner Feder:
Adoption | Bei einer Adoption wird das Kind gesetzlich in die neue Familie aufgenommen. Die leiblichen Eltern haben keinerlei Ansprüche oder Pflichten mehr. Das Jugendamt hat damit im Normalfall nichts zutun. |
Pflegefamilie | Das Kind wird langfristig, vielleicht sogar für immer, in der Pflegefamilie bleiben. Kontakt zu leiblichen Eltern bleibt bestehen und das Jugendamt bleibt Ansprechpartner und Vermittler. |
Bereitschaftspflege | Das Kind wird aus einer Notsituation spontan aufgenommen und verbleibt bei der Pflegefamilie bis eine Entscheidung getroffen wurde wo das Kind langfristig leben kann. Regelmäßiger Kontakt zu den leiblichen Eltern wird im Normalfall gewährleistet. Das Jugendamt kümmert sich um alle Absprachen. |
Zwei Sätze die mir aus den Kursen hängengeblieben sind möchte ich gerne mit dir teilen. Es war grundsätzlich eine ganz wunderbare Atmosphäre und ich war wirklich gerührt von der liebevollen und emphatischen Art und Weise wie die Jugendamtmitarbeiterinnen über diese Arbeit gesprochen haben. Man hat gemerkt dass ihnen die Familien und Kinder wirklich am Herzen liegen. Normalerweise versucht man möglichst nie etwas mit dem Jugendamt zutun zu haben … aber ich durfte lernen, dass es da ganz wunderbare Menschen gibt und ich finde es sehr spannend mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Als es an einem Abend darum ging wie das Wohnumfeld für ein Pflegekind sein sollte (in dem Kurs waren vor allem Paare die gerne Dauerpflege machen wollten) antwortete eine Mitarbeiterin: „Es ist vor allem wichtig, dass Sie Platz in Ihrem Herzen haben.“ Das finde ich so schön. Ob das Kind nun ein eigenes Zimmer haben würde oder nicht … auf den Platz in unseren Herzen kommt es an.
Ein anderes Mal fragte eine Mutter wie schnell sie nach der Aufnahme eines Pflegekindes wohl wieder auch ihrem Beruf nachgehen könnte. Darauf meinte eine Mitarbeiterin „Lassen Sie mich es so sagen: Alle Kinder brauchen Eltern die Zeit für sie haben. Und Pflegekinder ganz besonders.“
Liebe und Zeit, ja das brauchen Kinder und nicht nur die Kinder …
Die Kurse sind der Anfang und der Teil mit dem persönlichen Austausch. Hier kommen alle Meilensteine auf dem Weg zur (Bereitschafts-) Pflegefamilie auf einen Blick:
- Grundkurs mit 3 Abendterminen
- Aufbaukurs an einem Samstag (Tagesseminar)
- ausführlichen Fragebogen ausfüllen und abgeben
- ärztliche Bescheinigung einholen, dass man vor allem auch psychisch dazu in der Lage ist
- erweitertes polizeiliches Führungszeugnis
- Hausbesuch von Jugendamtmitarbeitern
Wenn man nach allen Schritten ein „Ja“ für diese Aufgabe findet und das Jugendamt auch zustimmt ist man quasi fertig und geprüft. 🙂 Anschließend wird man auf die Bereitschaftsliste des Jugendamts gesetzt und wenn ein Kind spontan ein Zuhause braucht werden wir angerufen und bei Zustimmung wird uns das Kind gebracht. Das kann innerhalb von ein paar Stunden gehen und darauf sind wir so gut es geht eingestellt.
In dem Fragebogen konnten wir zum Beispiel auch sagen welches Alter das Pflegekind für uns haben kann. Wir wollten uns auf Babys beschränken, daher konnten wir direkt mit den Anschaffungen starten um alles bereit zu haben wenn das erste Kind kommt.
Vorraussetzungen als Pflegeeltern
Pflegepersonen können Ehepaare, Einzelpersonen oder eheähnliche Lebensgemeinschaften werden. Welches Pflegekind zu welcher Pflegeperson passen könnte wird immer individuell geschaut. Hilfreich kann dabei der ausgefüllte Fragebogen sein den man in der Vorbereitung abgibt, sodass beispielsweise eine sportliche Familie auch eher ein aktives Kind bekommt.
Folgende Punkte sollten auf die Pflegepersonen zutreffen:
- Einfühlungsvermögen, Offenheit, Belastbarkeit, Toleranz (auch den leiblichen Eltern gegenüber)
- Verständnis für die Kinder in besonderen Lebenssituationen
- Wunsch nach Zusammenleben mit Kind
- Bereitschaft mit dem Jugendamt und der Herkunftsfamilie zusammen zu arbeiten
- Ausreichend Platz im Wohnumfeld und Zeit für das Kind/die Kinder
- Zustimmung und Unterstützung aus dem eigenem sozialen Umfeld
- keine lebensverkürzende Krankheiten oder psychische Einschränkungen
- gesichertes Einkommensverhältnis unabhängig von der Vergütung für Pflegeeltern (bei der Bereitschaftspflege bekommt man einen Tagessatz solange das Pflegekind bei einem ist, der als „Aufwandsentschädigung“ gilt und kein Grundeinkommen ersetzt)
Was sind die Aufgaben einer Bereitschaftspflegefamilie?
„Das Kind in die Familie aufnehmen, lieben, versorgen, pflegen und erziehen.“ war meine Antwort als mir diese Frage auf Instagram gestellt wurde. Dazu kommen bei älteren Kindern eventuell Therapien und gemeinsame Ziele umsetzen.
Rücksprache mit dem Jugendamt halten über Besuchskontakte mit den leiblichen Eltern, Auffälligkeiten beim Kind, weiteren Verlauf der Unterkunft für das Kind und ärztliche Untersuchungen falls nötig absprechen.
Besuchskontakte mit den leiblichen Eltern begleiten. Diese finden meistens in regelmäßigen Abständen statt. Bei uns ist es gerade einmal die Woche. Die Beziehung zu den Eltern bleibt ein weiterhin prägender Bestandteil der Kinder und wird daher in einem sicheren Umfeld versucht in der Regel weiterhin möglich zu machen.
Wir sind auch für die Ausstattung und Förderung der Kinder verantwortlich und ältere Kinder werden beim Kindergarten und Schulbesuch unterstützt.
Und was ist, wenn das Kind wieder gehen muss …?
Das ist auch eine sehr häufig gestellte Frage an uns und der Grund warum viele sagen dass sie so etwas nicht machen könnten.
Es ist immer eine Ungewissheit mit dabei wie lange das Kind bleibt. Von ein paar Tagen bis Monaten kann alles dabei sein. Je nach Fall ist es mal mehr mal weniger absehbar. Mich persönlich stört das bisher nicht. Wir genießen und nutzen die Zeit in der das Kind bei uns ist und wissen das es nicht für immer ist. Deshalb haben wir uns auch für diese Form entschieden, ein Viertes Kind steht langfristig nicht auf unserer Wunschliste. 😉 Natürlich bindet man sich an das Kind und liebt es, aber es geht dabei nicht um mich oder uns. Es geht um das Wohlbefinden des Kindes und um eine gute Zukunft, nicht um meinen Trennungsschmerz.
Bisher mussten wir uns nicht trennen, im Moment wohnt unser erstes Pflegekind noch bei uns. Ich möchte es aber so handhaben wie Nelli, die später zu Wort kommt und in einem Interview gesagt hat „Die Kinder gehen nie wieder ohne Gebet. Das können wir ihnen mitgeben.“ Das finde ich einen wunderbaren Zuspruch. Unsere Kinder werden wir beim Abschied nehmen und vermissen auch so gut es geht begleiten. Und bei aller Liebe und Fürsorge freue ich mich auch wieder auf die Abschnitte in unserem Familienleben bei denen ich durchschlafe, ganz für meine Kinder da sein kann und auch mal wieder einen Vormittag für mich habe … bis der nächste Anruf kommt.
Wenn die Pflegekinder in unserem Bezirk zu Dauerpflegefamilien kommen können wir sie bei Sommerfesten des Jugendamts Wiedersehen. Außerdem wird in unserem Bezirk regelmäßig Supervision für alle Bereitschaftspflegefamilien angeboten. Hier können wir uns austauschen und gemeinsam durch schwierige Lernfelder steigen. Ich fühle mich da sehr gut aufgehoben.
Bereitschaftspflege aus der Sicht einer Jugendamtmitarbeiterin
Ich habe eine liebe Freundin gefragt, ob sie als Jugendamtmitarbeiterin auch gerne etwas zu diesem Beitrag teilen würde. Sie war eine der Ersten mit der ich darüber gesprochen habe, dass wir mit dem Gedanken spielen Pflegefamilie zu werden. Hier kommt ihre Antwort:
Liebe Sonja, ich freue mich sehr, dass du auch die Perspektive des Sozialen Dienstes eines Jugendamtes mit in deinen Beitrag für Bereitschaftspflege mit aufnimmst. Und ich freue mich, dass ich dazu ein paar Zeilen schreiben darf.
Ich arbeite mittlerweile seit 10 Jahren im Sozialen Dienst des Jugendamtes. Gesetzliche Grundlage unserer Arbeit ist das achte Sozialgesetzbuch. Ich zitiere an dieser Stelle mal §1:
(1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
(2) 1Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. 2Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere
1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen,2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen,3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen,4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.
Absatz Eins bezieht ein, dass die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt stehen. Und so baut sich auch unsere Arbeit auf. Fokus unserer Arbeit sind die kindlichen Bedürfnisse.
Gesetzlich festgelegt ist auch, dass die Eltern das Recht und die Pflicht haben, sich um ihre Kinder zu sorgen. Das ist übrigens auch im Grundgesetz verankert. Aus dem Zweiten Satz „darüber wacht der Staat“ ergibt sich der Kontrollauftrag der Jugendämter zur Sicherung der kindlichen Bedürfnisse – des Kindeswohls, wie es im rechtlichen Sprachgebrauch verwendet wird.
In Absatz 3 ist verankert, dass es dafür Hilfe für die Familien geben soll. Diese Hilfen nennt man Jugendhilfe. Es gibt hier relativ viele Möglichkeiten, Familien zu unterstützen. Bei allen Hilfen gilt die Familie als schützenswert und soll zunächst mit sämtlichen Möglichkeiten erhalten und stabilisert werden. Genauso ist im Gesetz festgelegt, dass die Familien bei der Ausgestaltung der Hilfen beteiligt sind und dass alle ambulanten Hilfen Vorrang haben.
Was heißt das für uns im Jugendamt ganz praktisch?
Das bedeutet, dass unsere Arbeit sehr davon geprägt ist mit den Familien zusammen herauszufinden, was die Kinder brauchen, um gute Eltern und gute Lebensbindungen zu haben. Alles wird mit den Eltern abgestimmt.
Manchmal ist das ein Spendenantrag, um Nachhilfe oder einen Verein zu ermöglichen. Manchmal ist es nach dem Super Nanny Modell eine Fachkraft, die den Alltag mit der Familie neu strukturiert, machmal ist es Jemand, der beim Haushalt unterstützt oder auch familientherapeutische Arbeit anbietet, um auf innere Schichten bei den Eltern zu schauen.
Und manchmal ist die genau richtige Hilfe auch, dass die Kinder und Eltern keinen gemeinsamen Alltag haben. Das sind in der Regel schmerzhafte Prozesse. Ich habe bisher immer erlebt, dass Eltern ihre Kinder und Kinder ihre Eltern über alles Lieben. Manchmal steht zwischen der gegenseitigen Liebe die Vergangenheit, Suchtmittel, Erkrankungen, Partner oder andere Themen.
Immer, wenn die Entscheidung ansteht, wo kann das Kind stattdessen wohnen, spielt die Alternative eine große Rolle. Viele Kinder sagen, lieber eine schlechte Familie als keine Familie. Daher ist die Alternative, eine zweite Familie, besonders für jüngere Kinder, zu bekommen sehr lukrativ. Das ist das Tolle an dem Modell Pflegefamilie. Das Band zur Ursprungsfamilie darf bleiben. Die leiblichen Eltern behalten ihre Rolle. Die Pflegeeltern bieten den Kindern das Umfeld, das sie für ihre Entwicklung brauchen.
Eine persönliche Geschichte
Ich möchte gerne von einem Baby berichten, das ich letztes Jahr auf den Weg zu einer Bereitschaftspflegefamilie begleitet habe.
Eine hochschwangere Mama, ca 30 Jahre zog kurz vor der Geburt in eine Wohnung in den Stadtteil für den ich zuständig war. Vorher lebte sie sehr isoliert und in einer vermüllten Wohnung. Nach den ersten Gesprächen wurde bekannt, dass sie immer wieder von Wohnungslosigkeit bedroht war, nicht geübt ist einen Haushalt zu führen und eine Wohnung zu strukturieren. In den Gesprächen erzählte sie, wie sie sich die Versorgung ihres Babys vorstellte. Sie schien sich gut auszukennen. Ich bot ihr an, sie könne eine pädagogische Fachkraft als Unterstützung bekommen, um das Wohnumfeld für ihr Baby zu gestalten und auch jemand für Babyfragen zu haben. Sie wollte das gerne annehmen. Das Baby kam in einer Klinik zur Welt. Die Mama wurde nach wenigen Tagen entlassen. Sie war so verliebt in ihre kleine Maus. Das war zum Dahinschmelzen. Diese Mamaliebe und diese Sorgsamkeit war so schön zu beobachten.
Dennoch viel bereits nach wenigen Tagen auf, dass das Baby entwicklungspsychologische Stresssymtome zeigte. Wir schauten genauer hin. Es wurde deutlich, dass gefährliche Situationen zu beobachten sind wie unbeaufsichtigt auf dem Wickeltisch, unsaubere Milchfläschchen. Die ambulante Hilfe wurde erhöht, um Abläufe zu trainieren. Für uns als Jugendamt war zunächst nicht klar, warum ist das Baby so gestresst? Die Mama war so liebevoll, so verliebt und behutsam. Irgendwann viel auf, dass sie die Bedürfnisse ihrer Tochter nicht erkennt. Sie handelt eher mechanisch. Die Passung für das, was das Baby braucht und was die Mama geben konnte war nicht da. Nach wenigen Tagen wurde das Baby krank, bekam Fieber. Auch hier konnte die Mama das nicht sehen. Aber sie liebte ihre Tochter, sie trug sie in den Armen, sie schaukelte sie. Und es reichte nicht, um das Überleben der Kleinen zu sichern.
Aufgrund des neugeborenen Alterns musste eine Entscheidung getroffen werden. Das Jugendamt entschied, hier ist die Hilfe einer Bereitschaftsplegefamilie genau richtig. So wird Zeit gewonnen, um das Baby und die Mama kennenzulernen und um verstehen zu lernen, warum die Situation so ist. Bereitschaftsfpflege war ein Segen, da es eine Zwischenlösung ist. Besonders schön war, dass es eher eine Bereitschaftspflegeoma war, die so viel Erfahrung und Gelassenheit mitbrachte. Dadurch verlor die Situation an Dramatik.
Für mich sind solche Entscheidungen immer sehr intensiv, wenn sie viel Liebe im Spiel ist und ich die Familie nicht gut kenne. Es sind mit den Familien immer sehr intensive Prozesse. Mein Ziel ist es immer, einen gemeinsamen Weg für das Kind zu finden.
Fragen an eine erfahrene Bereitschaftspflegemama
Ich bin zufällig auf Nelli aufmerksam geworden und habe dann ein sehr berührendes Interview mit ihr auf YouTube angeschaut. Sie ist schon ein paar Jahre Bereitschaftspflegemama und ich habe sie gebeten mir für diesen Beitrag ein paar Fragen zu beantworten. Sie war so lieb:
Liebe Nelli, seit wann habt ihr diese Aufgabe übernommen und wieviele Pflegekinder hattet ihr seit dem?
Wir sind seit Februar 2016 Bereitschaftpflegeeltern. Und durften bislang 19 Kinder begleiten. Die Kinder waren im Alter von 6 Tagen bis 8 Jahren und blieben zwischen 3 Tagen und über 1 Jahr bei uns. Geschwisterkinder sind auch immer Willkommen.
Was war dein persönliches Highlight bisher als Pflegemama und was war dein Tiefpunkt?
Es gab schon sehr viele Highlights und mindestens genauso viele Tiefpunkte. Irgendwie hat das eine immer was mit dem anderen zu tun. Wir haben mal ein kleines Mädchen begleitet, dass noch sehr junge Eltern hatte und in ihrem jungen Leben schon einiges erlebt hat, es war so schön zu sehen, wie sie die Liebe, Wärme und Zuneigung förmlich aufgesogen hat und innerhalb wenigen Tagen angefangen hat zu strahlen. Dann kam ein paar Tage vor Weihnachten völlig unerwartet die Entscheidung eines Richters: Das Kind soll sofort zum Vater (17 Jahre und selbst so bedürftig) zurück geführt werden. Pure Verzweiflung machte sich in mir breit. Wie soll das gehen? Und in meiner seelischen Not schrie ich zu Gott. Er gab mir Ruhe und Frieden ins Herz mit dem Vers:
Denn er hat seinen Engeln BEFOHLEN, dass sie dich behütet bei Tag UND bei Nacht.
Psalm 91,11
Und Gott hält sein Wort! ER hat die Engel aktiviert, nachts wurde ich wach um für das Mädchen zu beten. Einerseits hat es mich erschreckt, weil ich wusste, die kleine braucht gerade Gebet. Andererseits wurde ich ganz ruhig, weil es mir diese Gewissheit gab, GOTT HAT SEINE ENGEL aktiviert um das Kind zu beschützen. Einige Wochen später habe ich erfahren dass wider Erwarten der Vater es gut hinbekommt. GOTT SEI DANK. Wenn ER einen 17 jährigen befähigt für seine Tochter zu sorgen, WUNDERBAR!!!
Habt ihr Rituale in Bezug auf die Pflegekinder, zum Beispiel ein besonderes Willkommen oder Abschied, etwas das ihr jedem Kind mitgebt?
Jedes Pflegekind bekommt ein Fotobuch von der Zeit bei uns, wenn es weiterziehen.Und wir haben für uns eine Fotowand im Wohnzimmer wo jedes Kind seinen Platz bekommt.
Es gibt einen tiefen Einblick in diese besondere Arbeit und in das hingebungsvolle Leben von Nelli und ihrer Familie …
Vielen Dank für die berührenden und persönlichen Geschichten! Ich bin sicher für uns alle liegen noch ergreifende Momente und Menschen vor uns …
Bei Rückfragen könnt ihr euch gerne in den Kommentaren verewigen oder mich direkt über Kontakt anschreiben. Lasst uns gerne weiter über dieses Thema im Gespräch bleiben. Ich freu mich auch, wenn sich andere Bereitschaftspflegefamilien melden und wir zusammenfinden können.
Hallo Sonja
Der Beitrag ist die ganz wunderbar gelungen. Du schreibst sehr lebendig! I Love it!
Danke für die Einblicke!
Viele Grüße